Was kann ein Agentursystem? - Der Handelsvertreter im EU-Kartellrecht

Vertikal-GVO neu – Teil 2

Das Agentursystem im Kfz-Vertrieb ist derzeit in aller Munde. Eine Bemerkung bereits vorweg: Ob eine Umstellung eines Vertragshändlernetzes auf ein Agentursystem den Händlern oder dem Importeur mehr Nutzen bringt, kann pauschal nicht gesagt werden. Das hängt vom konkreten Vertrag ab. Und so manche Auswirkung wird man womöglich erst in der Zukunft erkennen.

Eine Möglichkeit besteht darin, Handelsvertreter einzusetzen. Ein Handelsvertreter schließt den Vertrag mit dem Endkunden nicht im eigenen Namen ab, sondern im Namen des Geschäftsherrn (Importeur/Hersteller). Darin liegt der wesentliche Unterschied zum Vertragshändler.

Ein Handelsvertreter vermittelt Kaufverträge zwischen dem Endkunden und dem Importeur oder – falls er dazu bevollmächtigt ist – schließt solche Kaufverträge im Namen des Importeurs ab. Dafür bekommt er eine Provision. Diese ersetzt den Deckungsbeitrag eines Vertragshändlers. Im Vergleich zum Vertragshändler erspart sich ein Handelsvertreter, den Einkaufspreis vorzufinanzieren, und trägt nicht das Risiko, dass die erworbene Ware nicht mehr verkauft werden kann.

Was bedeutet ein Vertriebssystem von Handelsvertretern kartellrechtlich?

Das EU-Kartellrecht unterscheidet zwischen „echtem“ und „unechtem“ Handelsvertreter:

  1. Ein echter Handelsvertreter

    trägt gar kein oder nur ein geringes Risiko in Bezug auf die von ihm im Namen des Geschäftsherrn abgeschlossenen Verträge. Ob ein Handelsvertreter echt oder unecht ist, ergibt sich somit aus den vertraglichen Rechten und Pflichten und der daraus resultierenden Risikoverteilung. Ein echter Handelsvertreter ist kartellrechtlich betrachtet kein eigenständiger Marktteilnehmer, sondern nur verlängerter Arm des Geschäftsherrn: Geschäftsherr + echter Handelsvertreter = Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne. Auf echte Handelsvertreterverträge ist das Kartellverbot deshalb nicht anwendbar (wie beim Arbeitsvertrag). Wettbewerbsbeschränkungen sind somit zulässig.

  2. Der unechte Handelsvertreter trägt hingegen ein Risiko, das schon zu hoch ist, um ihn – wie einen Arbeitnehmer – als bloß verlängerten Arm anzusehen. Der Vertrag mit einem unechten Handelsvertreter fällt deshalb unter das Kartellverbot, er darf insbesondere keine bezweckten Wettbewerbsbeschränkungen enthalten (etwa Verbote passiver Verkäufe, nicht freigestellte Gebiets- oder Kundengruppenbeschränkungen, etc.).

Was bringt die neue Vertikal-GVO?

Die neue Vertikal-GVO wird am Begriff des EU-Handelsvertreters (das ist der echte Handelsvertreter) und am entscheidenden Kriterium der Risikotragung nichts Grundlegendes ändern. Allerdings geht der Entwurf für neue Vertikal-Leitlinien darauf ein, wie der Geschäftsherr bestimmte vom Handelsvertreter übernommene Risiken finanziell ausgleichen und auf diesem Wege übernehmen kann. Dadurch kann ein Handelsvertreter trotz der ursprünglich übernommenen Risiken zu einem echten Handelsvertreter werden.

Entscheidend bleibt somit, welche Risiken der Handelsvertreter trägt.

Dabei geht es nur um jene finanziellen und wirtschaftlichen Risiken, die sich auf die vom Handelsvertreter abgeschlossenen Verträge beziehen. Außer Betracht bleibt hingegen etwa das Risiko, dass der Handelsvertreter zu wenig verdient, weil er zu wenige Verträge abschließt. Beispiele für relevante Risiken sind vom Handelsvertreter getragene Transportkosten, finanzielles Risiko bei Zahlungstransaktionen, die Pflicht, auf eigene Kosten oder eigenes Risiko Vertragswaren einzulagern, Vorführfahrzeuge zu halten, Investitionen in Räumlichkeiten oder Schulungen zu tätigen oder selbst Werbekampagnen zu fahren.

Ein Handelsvertretervertrag fällt also sehr wohl unter das Kartellverbot, wenn der Handelsvertreter verpflichtet wird, Vorführfahrzeuge zu erwerben, einen gewissen Werbeaufwand zu treiben, hohe Investitionen in den Standort und in seine Mitarbeiter zu tätigen und eine gewisse Anzahl an Fahrzeugen vorrätig zu halten. Etwa wird es dann nicht möglich sein, dem Handelsvertreter zu untersagen, seine Provision mit dem Endkunden zu teilen (und damit im Ergebnis den vom Endkunden zu zahlenden Endverbraucherpreis zu senken).

Fazit: Ob sich aus Sicht der Vertragshändler Grundlegendes ändert, wenn sie als Handelsvertreter tätig werden, wird sich erst zeigen, wenn die Verträge vorliegen. Die Freiheit der Vertragshändler war schon bisher eingeschränkt. Und ein Ausgleichsanspruch ist für einen Handelsvertreter sogar einfacher zu begründen als für einen Vertragshändler.

Wer als Importeur ein Agentursystem mit Handelsvertretern einrichten möchte, muss zunächst entscheiden, ob er vom kartellrechtlichen Handelsvertreterprivileg Gebrauch machen möchte. Wenn ja, dürfen die Handelsvertreter kaum Risiken in Bezug auf die abgeschlossenen Verträge übernehmen. Andernfalls können die Handelsvertreter zwar zahlreiche Risiken übernehmen, Wettbewerbsbeschränkungen sind dann aber nicht mehr ohne Weiteres erlaubt.